BGH-Urteil lässt eCommerce zittern: Wenn Opfer von Fakebestellungen zum Täter werden
Die eCommerce-Branche gehört zu den meist-gegängelten in der digitalen Welt. Kaum eine andere Branche muss so viele Gesetze, Vorgaben und Regeln einhalten, um Abmahnungen zu vermeiden. Wenn es nach dem BGH geht, dann kommt jetzt eine weitere, irrsinnige Regelung hinzu. Warum Onlinehändler und Portalbetreiber zum Täter werden, obwohl sie eigentlich das Opfer sind, und was Sie dagegen tun können…
E-Mail-Dienstleister soll zum Hellseher werden
Der Bundesgerichtshof verhandelte einen Fall, in dem ein E-Mail-Dienstleister Opfer einer sogenannten Fakebestellung wurde. Bei einer Fakebestellung werden von Betrügern echte Daten wie Adresse und Name einer fremden Person verwendet, um eine Bestellung auszuführen. Diese wird jedoch nicht bezahlt. Bei dem E-Mail-Anbieter wurde mit einer Fakebestellung ein Premiumpaket bestellt. Dieses richtete der Anbieter umgehend ein und schickte dem vermeintlichen Kunden eine Zahlungsaufforderung. Dieser wunderte sich vermutlich, denn eine Bestellung hatte er nicht aufgegeben.
Da dies der E-Mail-Dienstleister nicht wissen konnte, schickte er dem vermeintlichen Kunden weitere Zahlungsaufforderungen und Mahnungen. Der Betroffene wandte sich daraufhin an die Verbraucherzentrale. Diese konnte den Sachverhalt mit dem E-Mail-Dienstleister klären und dieser sah auch sofort ein, dass es sich um eine Fakebestellung handelte. Er nahm das Premiumpaket zurück und lies sämtliche Zahlungsaufforderungen fallen. Doch der Verbraucherzentrale war das offenbar nicht genug, denn sie zog gegen den E-Mail-Dienstleister wegen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vor Gericht. Ihrer Ansicht nach hätte der Dienstleister überhaupt keine Zahlungsaufforderung verschicken dürfen.
Der BGH kippt die bisherige Rechtsprechung
Nachdem das Landgericht der Klage stattgab und die Berufung des Mailproviders erfolglos war, reichte dieser Revision beim BGH ein. Und auch dieser gab der Verbraucherzentrale in seinem Urteil vom 06.06.2019 (Az.: I ZR 216/17) recht. Der E-Mail-Anbieter habe im doppelten Sinne einen Wettbewerbsverstoß begangen. Zum einen, weil er eine Dienstleistung geliefert und eine Zahlung gefordert habe, obwohl diese nicht bestellt wurde (Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG) und zum anderen, weil er den vermeintlichen Kunden mit der Aussage in die Irre geführt habe, er habe etwas bestellt, obwohl er es nicht getan hat (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1 UWG).
Dabei spielt es laut BGH keine Rolle, ob der E-Mail-Provider wissen konnte, dass es sich um eine Fakebestellung handelte oder nicht. Heißt vereinfacht gesagt: Der Dienstleister ist auch dann schuld, wenn er berechtigt von einer korrekten Bestellung ausging.
Mit diesem Urteil änderte der BGH die bisherige Rechtsprechung: Denn bisher wurde einem Unternehmer kein Wettbewerbsverstoß angelastet, wenn er irrtümlich von einer Bestellung ausgegangen ist. Diese Auslegung hat der BGH nun gekippt. Das Problem hierbei ist, Fakebestellungen können kaum verhindert oder erkannt werden, da die Betrüger korrekte Adress- und Personendaten verwenden.
Die neue Auslegung dürfte somit Anbieter von digitalen Dienstleistungen oder Waren im Internet, zum Beispiel News- oder Affiliate-Portale sowie Online-Datenbanken, vor große Probleme stellen.
BGH Urteil stellt Onlinehändler vor ein unlösbares Problem
Doch was haben Onlinehändler von dem Urteil zu befürchten? Das Problem: Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (Zahlungsaufforderung zu nicht bestellter Ware) bezieht sich nicht nur auf Dienstleistungen (zum Beispiel Premiumaccounts für Foren oder Apps), sondern auch auf Warenlieferungen. Schickt ein Onlinehändler aufgrund einer Fakebestellung Ware an einen Kunden, der diese Ware gar nicht bestellt hat, und fordert diesen dann zur Zahlung auf, dann ist dies nach dem neuen BGH-Urteil ein Wettbewerbsverstoß und damit abmahnbar.
Dieses Risiko besteht für Onlinehändler, die in Vorleistung gehen und die Ware schon an den Kunden schicken, bevor dieser bezahlt hat. Dies ist im Onlinehandel jedoch durchaus üblich. Onlinehändler, die Zahlung auf Rechnung, Lastschrift oder Ratenzahlung anbieten, tappen also leicht in die Falle.
Noch härter trifft Onlinehändler die Auslegung des BGH zu § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1 UWG (Irreführung). Denn dieser Tatbestand ist bereits in dem Moment erfüllt, indem der Onlinehändler dem vermeintlichen Kunden eine Zahlungsaufforderung zustellt und diesem damit suggeriert, er habe eine Bestellung im Onlineshop getätigt und damit einen Vertrag mit dem Händler geschlossen. Dem Kunden sofort nach Bestelleingang eine Bestellbestätigung und Zahlungsaufforderung zu schicken, gehört aber zum üblichen Ablauf in einem Onlineshop. Damit stehen die Onlinehändler vor einem scheinbar unlösbaren Problem.
Wettbewerber könnten neue Rechtsprechung bewusst ausnutzen
Das Perfide an dieser Geschichte: Diese Abmahnfalle können Konkurrenten bewusst auslösen, indem sie einfach eine Fakebestellung bei einem Onlineshop durchführen und den Betreiber anschließend wegen Irreführung abmahnen.
Für Onlinehändler könnte es also künftig doppelt bitter werden: Denn sie werden auf der einen Seite zum Opfer einer Fakebestellung, die sie kaum verhindern können und auf der anderen Seite zum Täter gemacht und abgemahnt. Was Sie im Falle eine Abmahnung tun sollten, erfahren Sie in unserem Video:
Im oben genannten Fall erkannte der BGH zwar, dass zwischen Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (Zahlungsaufforderung) und § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1 UWG (Irreführung) ein Wertungswiderspruch besteht, denn beide Regeln setzen eine ganz andere Qualität des Verhaltens des Unternehmers für einen Verstoß voraus (Lieferung der Ware oder nicht). Der BGH konnte dieses Problem jedoch ungelöst stehen lassen, denn der E-Mail-Dienstleister hatte ohnehin gegen beide Vorschriften verstoßen.
Die Experten von der IT-Recht-Kanzlei gehen jedoch davon aus, dass zukünftig Gerichte bei Wettbewerbsstreitigkeiten eine Irreführung des Kunden nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 1 UWG annehmen dürften, auch wenn keine Ware oder Dienstleistung geliefert wurde. Heißt vereinfacht gesagt: Jeder Onlinehändler setzt sich einer Abmahngefahr aus, sobald er eine Zahlungsaufforderung an seinen Kunden schickt.
Ein kleiner Lichtblick bleibt den Onlinehändlern allerdings doch. Denn der Kunde selbst kann den Onlinehändler nicht abmahnen. Das können nur Wettbewerber oder Verbände wie die Verbraucherzentrale. Und nicht jeder Kunde dürfte sich bei einer unberechtigten Zahlungsaufforderung direkt an diese wenden.
Abmahnrisiko Fakebestellung: Das können Onlinehändler jetzt tun
Auch wenn nicht sicher ist, was Gerichte in Zukunft entscheiden werden: Um Abmahnungen nach einer Fakebestellung zu vermeiden, sollten Onlinehändler einige Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls den Ablauf von Bestellungen anpassen. Folgende Tipps können Ihnen dabei helfen:
- Gehen Sie wenn möglich nicht in Vorleistung, sondern liefern Sie Waren immer erst nach eingegangener Zahlung aus. So vermeiden Sie einen Wettbewerbsverstoß nach Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (Nachteil: Dadurch könnten Sie auch Kunden verlieren, da diese mittlerweile erwarten, dass sie in Onlinehops auf Rechnung bezahlen können).
- Schicken Sie Ihrem Kunden vor der Zahlungsaufforderung eine Bestellbestätigung, damit der Kunde die Möglichkeit hat, den Missbrauch seiner Daten zu melden.
- Sollte der Kunde Widerspruch gegen Ihre Bestellbestätigung einlegen, dann klären Sie zunächst den Sachverhalt, bevor Sie eine Zahlungsaufforderung schicken.
- Legt der Kunde nach verschickter Zahlungsaufforderung Widerspruch ein, sollten Sie ebenfalls zunächst den Sachverhalt klären und keine weiteren Aufforderungen an den Kunden senden.
- Die IT-Recht-Kanzlei empfiehlt folgenden Disclaimer, welchen Sie in die Zahlungsaufforderung mit aufnehmen sollten, um sich zusätzlich abzusichern:
"Sie erhalten diese Zahlungsaufforderung, da bei uns eine Bestellung mit Ihren Daten eingegangen ist. Sofern die Bestellung weder von Ihnen noch in Ihrem Auftrag getätigt worden sein sollte, betrachten Sie diese Zahlungsaufforderung bitte als gegenstandslos und informieren uns bitte über den Missbrauch Ihrer Daten."
Wenn alles nichts hilft, hilft nur eine gute Absicherung
Immer skurrilere Gesetze und Vorschriften machen der eCommerce-Branche das Leben schwer und stellen sie vor unlösbare Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, den eigenen Onlineshop oder das eigene Web-Portal umfassend abzusichern. Mit einer Webshop-Versicherung über exali.de ist Ihr Onlineshop in den besten Händen. Wettbewerbsverstöße (zum Beispiel, wenn Sie nach einer Fakebestellung von einem Wettbewerber oder einem Verbraucherverband abgemahnt werden) und andere Rechtsverletzungen sind abgedeckt. Der Versicherer prüft auf eigene Kosten, ob eine Abmahnung gegen Sie berechtigt ist. Berechtigte Forderungen werden bezahlt, unberechtigte Forderungen abgewehrt.
Sie betreiben ein Internet-Portal, eine App oder eine Internet-Plattform? Dann sind Sie mit der Portal-Versicherung über exali.de auf der sicheren Seite.
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© Jan Mörgenthaler – exali AG
Jan Mörgenthaler hat seit 2017 viel mit Freiberuflern und Freiberuflerinnen in verschiedenen TV-Formaten gearbeitet. Er steht regelmäßig vor und hinter der Kamera, kümmerte sich ehrenamtlich um das Marketing eines Gaming Vereins und weiß aufgrund dieser Erfahrungen genau, welche Themen Freelancer umtreiben.
Wenn er bei exali Artikel beisteuert, drehen sich diese meist um IT- und Cyberrisiken.