Kleiner Auftrag, großer Schaden: Warum der passive Rechtsschutz den IT-Dienstleister aktiv schützt
Oft sind es nur kleine Ursachen, die in der Arbeitspraxis zum großen Schaden führen.. Wie ein kleiner EDV-Auftrag für einen IT-Dienstleister plötzlich existenzgefährdend werden konnte, davon berichtet exali-Geschäftsführer Ralph Günther. Zudem erklärt der Fachwirt für Finanzberatung IHK, warum die Leistung “passiver Rechtsschutz” in der IT-Versicherung den versicherten IT-Dienstleister aktiv schützt. Dieser Artikel erschien ebenfalls bei GULP im Rahmen der Serie «IT-Haftpflicht in der Praxis».
Programmierfehler: Tausende Adressen verloren
Werbeagentur fordert Schadenersatz in Höhe von 750.000,00 Euro
IT-Versicherung schaltet Anwälte ein und wickelt den Schaden ab
Unverzichtbare Leistung: Der passive Rechtsschutz
Vermögensschaden: Deckungssumme ist entscheidend
IT-Dienstleister mit Entwicklung von Pop-ups beauftragt
Der ganze Schadenfall: Von einem Konzern wurde einer Werbeagentur für Internetwerbemaßnahmen ein jährliches Budget in Höhe von zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Darin enthalten war auch die Schaltung von so genannten “Pop-ups” auf verschiedenen Webseiten. Darauf konnten sich Personen registrieren, die an den Produkten des Konzerns interessiert waren. Der Clou: Diese generierten Adressen sollten dann automatisch an den Konzern weitergeleitet werden, der die Datensätze wiederum an seine ausgegliederte Vertriebsorganisation verkaufen wollte.
Mit der technischen Umsetzung dieser Microsites für das Internet beauftragte die Werbeagentur eine kleine IT-Dienstleistungsfirma. Der Auftragswert belief sich dabei auf etwa 15.000,00 Euro und umfasste die Entwicklung der Pop-ups - wobei die generierten Adressen als formatierte Datensätze automatisch an den Konzern weitergeleitet werden sollten.
Die kleine IT-Dienstleistungsfirma arbeitete ausschließlich im Auftrag der Werbeagentur und hatte keinen direkten Kontakt zum eigentlichen Auftraggeber (dem Konzern). Und auch sie gliederte die Arbeit aus: So beauftragte die IT-Firma einen freiberuflichen IT-Experten, der jedoch keine eigene IT-Haftpflichtversicherung besaß.
Das Problem: Die Microsites wurden zwar bei der Erstellung ausführlich getestet - jedoch nie mit den originalen Ziel-Mail-Adressen des Konzerns, da diese erst kurz vor Fertigstellung eingepflegt werden konnten. So wurden die Seiten dann in den Live-Betrieb übernommen.
Programmierfehler: Tausende Adressen verloren
Als nach mehr als zwei Monaten noch immer keine einzige Mail beim Konzern eingegangen war, wunderten sich die Verantwortlichen über die fehlende Resonanz der Marketingaktion und suchten nach möuml;glichen Ursachen. Dabei wurden auch die Pop-ups genauer unter die Lupe genommen - und es stellte sich heraus: In einer Datei hatte der freiberufliche IT-Experte versehentlich ein “$”-Zeichen zu viel eingegeben.
Ein kapitaler Programmierfehler: Denn es waren zwar etwa 2.970 Adressen generiert worden, sie konnten jedoch nicht per Mail versendet werden.
Der Fehler wurde sofort behoben, doch die bis zu acht Wochen alten Adress-Datensätze waren für den Vertrieb größtenteils unbrauchbar geworden.
Dazu kam: Wegen des mangelnden Erfolgs der Kampagne hatte der Konzern der Werbeagentur das Budget gekürzt - was er nochmals tat, als der Fehler bekannt wurde. Darüber hinaus hatte die Werbeagentur nach Bekanntwerden des Fehlers sofort eine Werbefläche (nach eigenen Angaben im Wert von 150.000,00 Euro) auf einer viel besuchten Website gratis zur Verfügung gestellt - um mögliche Schadenersatzansprüche abzuwenden und den Imageschaden so gering wie möglich zu halten.
Werbeagentur will Schaden in Höhe von 750.000,00 Euro geltend machen
Und wie reagierte die Werbeagentur? Ganz einfach: Sie verlangte von der kleinen IT-Firma den entstandenen finanziellen Schaden zurück - der ihrer Aussage nach mit 750.000,00 Euro zu Buche schlug: 150.000,00 Euro für die gratis zur Verfügung gestellten Werbefläche plus den kalkulatorischen Gewinnausfall, der auf etwa 600.000,00 Euro beziffert wurde.
Die IT-Dienstleistungsfirma verständigte sofort ihre IT-Versicherung, bei dem sie seit einem Jahr mit einer Deckungssumme von 1,5 Millionen Euro pauschal für Personen-, Sach- und Vermögensschäden versichert war. Zudem waren freie Mitarbeiter (einer von ihnen hatte ja auch den Schaden verursacht) explizit mitversichert Somit bestand also Versicherungsschutz.
IT-Versicherung schaltet Anwälte ein und wickelt den Schaden ab
Der IT-Versicherer schaltete die Schadenabteilung mit seinen Fachanwälten ein, um die von der Werbeagentur erhobenen Ansprüche auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Tatsächlich war es schwierig, den entstandenen Schaden nachzuweisen - vor allem, weil die Kausalität (Ursachlichkeit) zwischen dem Programmierfehler des IT-Freiberuflers und der Budgetkürzung der Werbeagentur nicht klar nachweisbar und auch die Schadenhöhe insgesamt sehr strittig war.
Doch am Ende, nach acht Monaten Verhandlung, konnten sich die Schadenabteilung der IT-Versicherung und die Werbeagentur einigen: Sie legten den Streit mit einer Vergleichszahlung von 200.000 Euro bei.
Versicherer schützt IT-Firma vor finanziellem Ruin
Obwohl die zuerst geforderte Schadensumme in Höhe von 750.000,00 Euro von der Werbeagentur nicht durchgesetzt werden konnte, steht fest: Auch die letztendlich ausgehandelte Vergleichszahlung von 200.000,00 Euro hätte für die kleine IT-Dienstleistungsfirma den finanziellen Ruin bedeutet.
Und: Weder das IT-Dienstleistungsunternehmen als auch der freiberufliche IT-Experte hätten das “Know-how” und die finanziellen Mittel gehabt, die Verhandlungen mit dem Geschädigten rechtssicher zu führen und durchzustehen.
Unverzichtbare Leistung: Der passive Rechtsschutz
Daran lässt sich zeigen, wie wichtig eine bedarfsgerechte IT-Versicherung ist: Denn im geschilderten Fall hat der IT-Versicherer nicht nur die Schadenzahlung übernommen, sondern auch unbegründete oder zu hohe Schadenforderungen abgewehrt.
Diese Leistung wird als “passiver Rechtsschutz” bezeichnet - und ist ein unverzichtbarer Baustein für eine IT-Versicherung: Durch den “passiven Rechtsschutz” übernimmt der Versicherer bei einem potentiellen Schadenfall die Kosten für Anwälte, Sachverständige, Zeugen und Gerichte sowie Reise-, Schadenminderungs- und Schadenregulierungskosten.
IT-Dienstleister und IT-Freiberufler sollten deshalb bei der Auswahl einer IT-Versicherung darauf achten, dass ein umfassender “passiver Rechtsschutz” auch im Falle von Abmahnungen, Unterlassungen oder Einstweiligen Verfügungen besteht - und ob der IT-Versicherer auch entsprechende Erfahrungen in der Abwicklung von IT-Schäden besitzt. Denn Erfahrung und Kompetenz in diesem Bereich können entscheidend sein, wenn es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommt.
Vermögensschaden: Die Versicherungssumme ist entscheidend
Der Schadenfall zeigt deutlich, dass auch freiberufliche IT-Experten oder IT-Dienstleistungsunternehmen, die nur “kleinere” Aufträge ausführen, im Fall der Fälle eine hohe Versicherungssumme- auch Deckungssumme genannt - benötigen. Denn hätte die Werbeagentur ihre ursprünglichen Forderungen von insgesamt 750.000,00 Euro Schadenersatz durchsetzen können, hätte selbst eine Versicherungssumme für Vermögensschäden in Höhe von 500.000,00 Euro nicht ausgereicht. Für die kleine IT-Firma hätte dies wahrscheinlich trotz bestehender IT-Versicherung das finanzielle Aus bedeutet.
Das Problem: In der Praxis bieten viele IT-Versicherungen (auch IT-Haftpflicht oder IT-Betriebshaftpflicht genannt) für selbständige IT-Experten und kleine IT-Dienstleister lediglich niedrigen Versicherungssummen für Vermögensschäden zwischen 50.000,00 und 500.000,00 Euro an. Geht es um deutlich höhere Versicherungssummen, so werden diese bei kleineren Unternehmen vom Versicherer häufig abgelehnt oder führen zu einem deutlich teureren Beitrag.
Entscheidet sich der IT-Dienstleister deshalb doch für die günstigere Variante, kann ein realer Schadensfall zeigen, dass hier an der falschen Stelle gespart wurde.