(Un)Sinn Sozienklausel?! Warum die Regelung für gefährliche Versicherungslücken sorgen kann – Teil 1
Geteiltes Leid ist halbes Leid. Was im Alltag noch gut funktioniert, gilt spätestens im beruflichen Umfeld nicht mehr – vor allem bei Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Dafür sorgt die Sozienklausel in den meisten Bedingungen zur Berufshaftpflicht (Pflichtversicherung). Eine Regelung, die das Haftungsrisiko einer Sozietät gleichmäßig auf alle bestehenden Versicherungspolicen der involvierten Sozien verteilt. Im Schadenfall kann das jedoch tückisch sein: Wenn die aus den unterschiedlich hohen Versicherungssummen quotal gebildete Leistung nicht hoch genug ist, müssen Fehlbeträge im Worst Case aus der eigenen Tasche bezahlt werden…
In einer dreiteiligen Serie auf der exali.de InfoBase geht Gastautor und Vermögenschadenexperte Stefan Schwope dem Thema Sozienklausel vs. Versicherungsschutz auf den Grund – mit vielen Praxisbeispielen und konkreten Berechnungen. Im ersten Teil geht es um den (Un)Sinn der Sozienklausel und ihre Folgen für die Leistung der Berufshaftpflicht (Anwalts-Haftpflicht).
Sozienklausel und das Problem der Durchschnittsbildung
Für Berufsträger, die in einer Sozietät (GbR) zusammenarbeiten, ist die sog. Sozienklausel eigentlich ein „alter Hut“. Auf die Wiedergabe des Wortlauts wird daher verzichtet, zumal über die Sozienklausel im Einzelnen und deren Folgen in der Berufshaftpflichtversicherung erst kürzlich ausführlich Stellung genommen worden ist.
Grundsätzlich versucht die Sozienklausel, das Haftungsprinzip der gesamtschuldnerischen Haftung in einer Sozietät auf die Deckungsebene zu übertragen, indem sie sagt, „Der Versicherungsfall auch nur eines Sozius (§ 1 Abs. 2) gilt als Versicherungsfall aller Sozien.“
Das führt dann und nur dann zu Problemen (Unterdeckung), wenn die Berufsträger in einer Sozietät mit unterschiedlichem Versicherungsschutz (Deckungssumme und/oder Bedingungen) bei ggf. unterschiedlichen Versicherern versichert sind.
Ein Steuerberater (StB) möchte mit einem Rechtsanwalt (RA) in einer Sozietät zusammenarbeiten. Der StB ist bei Versicherer A mit 1 Mio. € versichert, der RA bei Versicherer B mit 250 000 €. Bei der Gründung der Sozietät am 1. 1. 2010 ist nicht über die Berufshaftpflichtversicherung gesprochen worden. Am 15. 5. 2012 wird gegen den StB ein Schaden i. H. v. 1 Mio. € auf Grund eines Verstoßes am 13. 7. 2010 geltend gemacht.
Da der StB mit 1 Mio. € versichert ist, sieht er hier kein Problem, da er davon ausgeht, dass seine Versicherung den Schaden begleichen wird.
Hierzu sieht die Sozienklausel jedoch Folgendes vor: „Die Leistung auf die Haftpflichtsumme ist in der Weise zu berechnen, dass zunächst bei jedem einzelnen Sozius festgestellt wird, wie viel er vom Versicherer zu erhalten hätte, wenn er, ohne Sozius zu sein, allein einzutreten hätte (fiktive Leistung), und sodann die Summe dieser fiktiven Leistungen durch die Zahl aller Sozien geteilt wird.“
Der StB würde somit 1 Mio. € erhalten, der RA 250 000 € = 1,25 Mio. €. Dies geteilt durch zwei Sozien ergäbe eine Entschädigungsleistung von 625 000 €. Es würde sich ein Fehlbetrag von 375 000 € ergeben, den die Sozien (der StB) aus eigenen Mittel bestreiten müssten.
Sofern nicht eindeutig klar ist, welcher Sozius den Verstoß (= Schaden) begangen hat, mag eine Verteilung des Schadens, vor dem Hintergrund der gesamtschuldnerischen Haftung, auf alle Berufsträger vielleicht noch sinnvoll sein. Jedoch geht die Sozienklausel auch dann von einer quotalen Beteiligung der Versicherer aller Sozien aus, wenn der Schaden (die Pflichtverletzung) eindeutig einem bestimmten Berufsträger zugeordnet werden kann!
(Un-)Sinn der Sozienklausel? Haftungsgemeinschaft vs. Deckungsgemeinschaft
Nach deutschem Recht besteht grundsätzlich Schadenersatzpflicht, wenn jemand schuldhaft seine Pflichten verletzt hat, d. h. der, der den Fehler (hier = Verstoß) begangen hat, soll dafür geradestehen und Schadenersatz leisten. Da bei Fehlern eines WP, StB oder RA schnell hohe Schadensummen erreicht werden, die oft nicht aus dem Privatvermögen des Berufsträgers geleistet werden können, ist zum Schutz und zur Durchsetzbarkeit der Ansprüche des Geschädigten die Pflichtversicherung 1994 eingeführt worden.
Wenn sich jedoch durch die Sozienklausel eine ggf. nicht unerhebliche Differenz zwischen der Versicherungsleistung und dem Schadenersatzanspruch ergibt, dann ist die Sozienklausel vor dem Hintergrund der Pflichtversicherung mehr als fraglich.
Da in mehr als 95 % aller Schadenfälle zu 100 % feststeht, welcher Sozius den Fehler begangen hat, macht es nach Ansicht des Autors keinen Sinn, aus der Haftungsgemeinschaft in der Sozietät eine „Deckungsgemeinschaft“ zu machen, die alle Sozien und Versicherer an den Schäden beteiligen, auch wenn sie keinen Fehler begangen haben, zumal dies u. U. zu erheblichen (evtl. existenzvernichtenden) Versicherungslücken führen kann.
Anders verhält sich der Sachverhalt, wenn die Schuldfrage nicht eindeutig geklärt werden kann, weil z. B. dem Personal, das für mehrere Sozien tätig wird, ein Fehler unterlaufen ist, oder weil mehrere Sozien das Mandat zusammen bearbeitet haben und eine exakte Schuldzuweisung nicht möglich ist.
Auf Grund der gesamtschuldnerischen Haftung der Sozien kann der Geschädigte (im Außenverhältnis) natürlich jeden Sozius in Anspruch nehmen, unabhängig davon, ob er den Verstoß begangen hat oder nicht. Für das Innenverhältnis der Sozien gilt jedoch die Innenausgleichsvorschrift des § 426 Abs. 1 und 2 BGB. Diese besagt, sofern nichts anderes bestimmt ist und sich eine eindeutige Verantwortlichkeit eines Sozius nicht feststellen lässt, dass es zu einer quotalen Aufteilung des Schadens auf die Sozien (und damit Versicherer) kommt.
Das heißt, dass auch ohne Sozienklausel, bei nicht eindeutiger Verantwortlichkeit für den Fehler, der Schaden quotal auf die Sozien verteilt wird.
Weitere Beispiele zur Sozienklausel aus der Praxis und verschiedene mögliche Varianten (wie verhält es sich mit Inanspruchnahme, Gesamtschuldnerschaft, Versicherungsschutz und Regress) nimmt Vermögensschadenexperte Stefan Schwope im zweiten Teil der Serie unter die Lupe.
Über den Autor
Stefan Schwope ist Dipl. Kaufmann, mit Schwerpunkt Versicherungswesen. Er kennt den deutschen Markt der Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherer seit mehr als 20 Jahren. Er war 18 Jahre bei GERLING tätig, zuletzt als stellvertretender Chief-Underwriter für das Vermögensschadenhaftpflicht-Geschäft und hat für andere Versicherer Produkte für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte entwickelt.
Aktuell ist Stefan Schwope als Senior Technical Underwriter – WP, StB, Rae beim Spezialversicherer Markel International Deutschland tätig.