Scheinselbständigkeit: Das bedeutet die Richtlinie zur Plattformarbeit

Rechtliche Sicherheit für Freelancer und Selbständige – das war das Ziel des überarbeiteten Statusfeststellungverfahrens und der neuen EU-Richtlinie zur Plattformarbeit. Im Artikel betrachten wir diese wichtigen Regelungen zur Scheinselbständigkeit. Halten sie, was sie versprechen?

EU einigt sich auf Plattformrichtlinie

Die neue Richtlinie soll die Plattformarbeit besser regulieren und die Beschäftigten dort schützen. Die Mitgliedsstaaten müssen sie voraussichtlich bis Frühling oder Sommer 2026 in nationales Recht umsetzen. Ein großer Streitpunkt bei der Ausarbeitung der neuen Vorgaben war der Beschäftigungsstatus der Personen, die auf diesen Plattformen tätig sind. Die meisten dieser circa 28 Millionen Menschen sind grundsätzlich als selbständig klassifiziert. Das ist auch dann der Fall, wenn sie ausschließlich für eine einzige Plattform tätig sind. Das wirkt sich negativ auf wichtige Ansprüche aus, die Arbeitnehmenden normalerweise zustehen. Dazu gehören:

Bisher lag es in den Händen der Plattformarbeiterinnen und -arbeiter, ihren Beschäftigtenstatus nachzuweisen. Nun soll sich die Beweislast mit der Plattformrichtlinie umkehren.  Unternehmen müssen nachweisen, dass es sich bei Mitarbeitenden nicht um klassische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt.

Eingeleitet werden Verfahren in dieser Frage jedoch weiterhin meist durch die zuständigen Aufsichtsbehörden. Stellen diese fest, dass Mitarbeitende einer Plattform nicht selbständig sind, können sie von der Plattform verlangen, diese Person fest anzustellen. Es ist nun Sache der Plattform, gegebenenfalls juristische Schritte dagegen einzuleiten. Je nach Umsetzung der Richtlinie durch einen Mitgliedsstaat kann die Entscheidung der Behörde auch ausgesetzt werden, solange die Plattform dagegen vorgeht. Das große Problem hier: Wird festgestellt, dass Mitarbeitende einer Plattform scheinselbständig sind, sind diese meist schon längst anderweitig tätig.

Generell haben die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung einen großen Gestaltungsspielraum. Die Richtlinie gibt nicht vor, auf welche Art und Weise der Beschäftigungsstatus von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern festzustellen ist. Auch ist der Begriff der „Plattformbeschäftigung“ nicht klar definiert. Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbständigen e. V.,fürchtet, dass die neuen Vorgaben auch Selbständige erfassen, die nicht auf einer Plattform arbeiten, sondern nur mit Auftraggebenden online kommunizieren. Er sieht ein hohes Risiko für noch mehr rechtliche Unsicherheit sowie erhöhten Aufwand für Selbständige und Freelancer.

 

Reformiertes Statusfeststellungsverfahren in der Kritik

Auch das bereits 2022 reformierte Statusfeststellungverfahren stößt bei Freelancern, Selbständigen und Verbänden auf wenig Gegenliebe. Laut einer Studie des Bundesverbands für selbständige Wissensarbeit e.V., des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e. V. sowie der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V., die vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erstellt worden ist, beklagen sie ein Übermaß an Bürokratie. Dieser hohe Aufwand in Kombination mit der rechtlichen Unsicherheit sorgt bei 36 Prozent der 6.300 Befragten für Abwanderungstendenzen. 27 Prozent ziehen sogar in Erwägung, ihre Selbständigkeit ganz aufzugeben. Um diese Entwicklung nachzuvollziehen, betrachten wir das Statusfeststellungsverfahren genauer.

Probleme beim Statusfeststellungsverfahren

Das Verfahren zu Statusfeststellung kann von drei Parteien initiiert werden: Dem Betriebsprüfungsdienst der Deutschen Rentenversicherung (DRV), von den Auftraggebenden oder vom Freelancer selbst. Nach dem Ausfüllen des neunseitigen Fragebogens folgt die Prüfung des Beschäftigungsverhältnisses. Wird nun eine Scheinselbständigkeit festgestellt, hat das für alle Beteiligten Konsequenzen:

So sorgt das Statusfeststellungsverfahren für gleichermaßen große Unsicherheit bei Auftraggebenden und Auftragnehmenden. Empfehlenswert ist daher, bereits im Vorfeld anwaltlich zu klären, ob eine Feststellung des Beschäftigungsstatus überhaupt sinnvoll ist. Außerdem sollten Freelancer und Selbständige den Fragebogen nicht ohne juristischen Beistand ausfüllen.

So können Sie das Risiko für Scheinselbständigkeit verringern

Die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses hat weitreichende Konsequenzen für Freelancer und Selbständige. Dieses Risiko können Sie allerdings verringern, wenn Sie sich an folgende Punkte halten:

Mit diesen Maßnahmen erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, bei einem Statusfeststellungsverfahren als selbständig eingestuft zu werden.

Scheinselbständigkeit durch Statusfeststellungsverfahren

Scheinselbständigkeit ist seit Jahren ein viel kritisiertes und diskutiertes Thema: Selbständige fühlen sich unter Generalverdacht gestellt. Wie wir bereits in unserem Artikel Angst vor Scheinselbständigkeit berichteten, setzt sich der Trend, dass innovative Projekte ins Ausland wandern, fort. Grund dafür ist die undurchsichtige Gesetzeslage des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Mit diesem stellt die Deutsche Rentenversicherung fest, ob jemand selbstständig oder angestellt beschäftigt (abhängig beschäftigt) ist.

„Das Problem an der ganzen Sache ist: Die Rentenversicherung hat das Verfahren in den letzten Jahren immer mehr so ausgelegt, dass Leute, bei denen man mit gesundem Menschenverstand sagen würden, ‚Das sind doch Selbstständige‘ plötzlich Angestellte, also abhängig Beschäftigte sein sollen“, erklärt uns Andreas Lutz bereits 2019 in einem Interview. Der Deutsche Bundestag hatte relativ überraschend am 20. Mai 2021 einige Änderungen am Statusfeststellungsverfahren beschlossen.

Bestens abgesichert als Freelancer

Auch mit den Änderungen am Statusfeststellungsverfahren und der neuen Richtlinie zur Plattformarbeit, bleibt das Risiko der Scheinselbständigkeit bestehen. Genauso tragen Sie weiterhin das Risiko, für finanzielle Nachteile, die Sie ehemaligen Auftraggeberinnen oder Auftraggebern bescheren, nachträglich in Haftung/Regress genommen zu werden.

Damit Sie sich nicht auch noch bei Vermögens-, Sach- oder Personenschäden um Ihre Existenz sorgen müssen, empfiehlt sich der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung über exali. Damit sind Sie gegen Rechtsverletzungen, Schadenersatzforderungen von Kunden und Kundinnen oder Auftraggebenden sowie weitere Vermögensschäden abgesichert. Im Falle einer Abmahnung etwa, prüft der Versicherer auf eigene Kosten, ob es sich um eine berechtigte Forderung handelt und übernimmt in diesem Fall die Schadenersatzkosten.

Protestbrief von 36 Berufs- und Interessensverbänden

Die schnell beschlossenen Änderungen am Statusfeststellungsverfahren zogen einen Protestbrief diverser Berufs- und Interessenverbände nach sich. Denn zur öffentlichen Anhörung der Gesetzesänderungen waren nur die Deutsche Beamtenversicherung (DBV) sowie die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zugelassen, aber keine der betroffenen Interessen- und Berufsverbände für Selbstständige.

Die Forderung: „Eine sofortige Einbeziehung in das laufende Verfahren oder dessen unverzüglichen Abbruch“. Neben der „kurzfristigen, nahezu geheimen Abwicklung des Gesetzesvorhabens“ kritisieren die Verbände vor allem, dass wichtige, bereits länger geforderte Veränderungen keine oder keine ausreichende Beachtung fanden.

Statusfeststellungsverfahren: Das hat sich seit Januar 2022 geändert

Die vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderungen am Statusfeststellungsverfahren lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Versicherungspflicht wird separat von Statusfeststellung ermittelt

Hierbei handelt es sich um die wahrscheinlich wichtigste Änderung. Sie legt fest, dass die Feststellung der Versicherungspflicht kein Element des Statusfeststellungsverfahrens mehr ist. Das bedeutet: Die DRV prüft weiterhin, welcher Erwerbsstatus vorliegt (selbstständig oder abhängig berufstätig). Themen wie Sozial-, Renten- und Krankenversicherung müssen dann aber separat geklärt werden.

Der VGSD kritisiert in einem Statement zu den Gesetzesänderungen, dass die Änderung zudem vorschreibt, dass die Feststellung des Erwerbsstatus basierend auf einzelnen Auftragsverhältnissen geprüft wird. Das bedeutet: Die Prüfung erfolgt für jedes Projekt bei allen Auftraggebenden einzeln, statt in Form einer generellen personen- oder zumindest tätigkeitsbezogene Feststellung. Denn: Die Feststellung einer Beschäftigung bedeutet nicht unbedingt, dass auch Beitragspflichten anfallen. Faktoren wie Geringfügigkeit der Tätigkeit, Rentenalter und so weiter spielen hier eine Rolle. Bei einer falschen Beurteilung drohen Auftraggebenden hohe Nachforderungen.

Dreiecksverhältnisse

Mit Dreiecksverhältnis sind Verträge gemeint, die über eine Vermittlerfirma zustande kamen (Dreieck Selbstständige – Contracting-Unternehmen – Endkunden und Endkundinnen (Auftraggebende)). Anders als bisher solle es nun keine zwei getrennten Verfahren hierfür mehr geben, sondern Auftraggebende können direkt miteinbezogen werden. Unklar ist aber, wem diese Verfahrenserleichterung nutzen soll: den Betroffenen oder der DRV bei der Ermittlung einer gesamtschuldnerischen Haftung.

Prognoseentscheidung:

Die Reform sieht vor, dass nun bereits vor Aufnahme einer Tätigkeit über den Erwerbsstatus entschieden werden kann. Auf Basis der vertraglichen Regelungen und der beabsichtigen Vertragslaufzeit kann es eine Abschätzung geben – entscheiden sich die Regelungen und Laufzeiten anschließend in der Praxis, ist es möglich, dass die Entscheidung korrigiert wird. Im Umkehrschluss bedeutet das für Selbstständige: Eine Rechtssicherheit besteht nur, wenn es keine Abweichungen der im Vorfeld beschlossenen Vereinbarungen gibt beziehungsweise diese Abweichungen unverzüglich gemeldet werden.

Problematisch ist außerdem, dass es keine ausreichende Präzisierung zu folgenden Punkten gibt:

Gruppenfeststellung:

Dies bedeutet, dass Selbstständige oder Auftraggebende eine gutachterliche Prüfung seitens der DRV zur Gruppenfeststellung anstoßen können. Voraussetzung hierfür sind eine Übereinstimmung der Ausführung und einheitliche Vertragsvereinbarungen. Auch hier fehlt allerdings eine Präzisierung bezüglich:

Mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren

Die neue Regelung sieht vor, dass alle Beteiligten des Verfahrens die Möglichkeit bekommen, einen Antrag auf eine mündliche Anhörung zu stellen.

Rechtsunsicherheit bleibt bestehen

Das große Manko der verabschiedeten Änderungen ist klar: Durch die fehlende Präzisierung bleibt weiterhin die Rechtsunsicherheit, sowohl für Selbstständige als auch Auftraggebende bestehen. Die Interessen- und Berufsverbände kritisieren deshalb die Änderungen scharf und suchen weiterhin das Gespräch mit der Politik.

Surftipp:

Alle Informationen und Neuigkeiten zum Thema Scheinselbstständigkeit finden Sie auch auf der Seite des VGSD: VGSD Scheinselbständigkeit