Angst vor Scheinselbständigkeit: Projekte wandern ins Ausland, Selbständige verlieren Aufträge
Update: Neue Umfrage zur Scheinselbständigkeit, gleiches Ergebnis
Und wieder hat eine Umfrage (durchgeführt vom Bundesverband für selbständige Wissensarbeit unter 1.450 Freelancern) ergeben, wie sehr die Gesetzeslage zur Scheinselbständigkeit Freelancer beeinträchtigt. Durch die Rechtsunsicherheit verlieren sie Aufträge und damit Einkommen. Im Großen und Ganzen zeigt sich das gleiche beunruhigende Bild wie schon in früheren Umfragen (siehe weiter unten im Artikel):
- Über 64 Prozent geben an, dass ihre Auftraggeber die Anzahl eingesetzter selbständiger Experten zunehmend reduzieren. 32 Prozent sogar, dass diese komplett auf den Einsatz von Selbständigen verzichten.
- Jedem fünften befragten Freelancer wurden unter Hinweis auf die aktuelle Rechtslage schon Aufträge gekündigt.
- 47 Prozent sagen, dass durch die Rechtslage beim Thema Scheinselbständigkeit eine agile Arbeitsweise (z. B. SCRUM) beeinträchtigt wird.
- 37 Prozent berichten, dass sich die Standards, die ihre Auftraggeber aufgrund der undurchsichtigen Gesetzeslage von ihnen fordern, kaum einhalten lassen.
Beunruhigend sind auch die Aussagen von (potenziellen) Auftraggebern, die in der Umfrage zu Wort kommen:
„Ein Beispiel zu den Policies und Rahmenbedingungen ist das durch den Vorstand entschiedene grundlegende Freelancer-Verbot (inkl. Möglichkeit für Ausnahmegenehmigungen).“ – Michael Sasse, Abteilungsleiter Vertriebsunterstützung HR-Beratung & Einsatz von Fremdpersonal, Commerzbank AG
„Insgesamt kann man sagen, dass durch die Regularien durchaus ein Trend besteht, vorsichtiger und damit auch im Zweifel in geringerem Maße externe Dienstleister einzusetzen.“ – Kai Haake, Geschäftsführer
„Durch die Gesetzgebung werden Projekte bei uns zwar nicht gestoppt, aber es gibt sicher klare Effizienzverluste (…)“ – Thomas Schnell, Syndikusrechtsanwalt und Compliance Officer, DB Systel
„Die Durchführung von Projekten wird in vielen Fällen verlangsamt – vor allem die Projektplanung (z. B. die Wahl der passenden Vertragskonstruktion) und das Durchlaufen aller Compliance-Prüfprozesse können wertvolle Zeit kosten.“ – Adél Holdampf-Wendel, Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Arbeit 4.0, Bitkom
Aus den Aussagen ergibt sich, dass viele Konzerne mittlerweile intensiv prüfen, ob sie überhaupt noch Freelancer einsetzen. In manchen ist der Einsatz sogar komplett verboten.
Die komplette Studie, aus der auch die Aussagen stammen, können Sie hier herunterladen: Freelancer-Studie: Bewertung der rechtlichen Rahmenbedingungen beim Einsatz (solo-)selbständiger Wissensarbeiter.
Leider hat sich an der Gesetzeslage seit unserem letzten Beitrag nichts geändert. Was Verbände und die FDP fordern und wie Sie helfen können, erfahren Sie in unserem ursprünglichen Artikel:
Umfrage zeigt: Innovationsstandort Deutschland in Gefahr
Mit einer Umfrage wollten der VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e. V.) und Personaldienstleister GULP beweisen, dass durch die Rechtsunsicherheit beim Thema Scheinselbständigkeit Know-how und Projekte ins Ausland abwandern. Das hatte die Bundesregierung auf Anfrage bestritten.
Die Umfrage ergab alarmierende Zahlen: 26 Prozent der befragten IT-Experten haben erlebt, dass ein Kundenprojekt aufgrund der Rechtsunsicherheit in Deutschland beendet wurde. Von den beendeten Projekten wurden 39 Prozent ins Ausland verlagert. 48 Prozent der IT-Selbständigen erwägen selbst auszuwandern, wenn sich die Situation nicht ändert oder weiter verschlechtert:
Projekte wandern ins Ausland, Einkommen der Freelancer sinkt
Auf seiner Website hat der VGSD außerdem Kommentare von betroffenen Selbständigen veröffentlicht, die alle ein ähnliches Bild zeigen. Von Projekten, die nach Indien oder Abu Dhabi verlegt werden, ist die Rede. „Immer wieder werden Projekte an indische Dienstleister vergeben, die Inder zum Kunden in Deutschland bringen, da in Deutschland wohnhafte IT-Berater aus Scheinselbständigkeitsgründen nicht eingesetzt werden dürfen“, sagt beispielsweise ein Befragter.
Die Umfrage des VGSD und GULP ist nicht die einzige, die ein düsteres Bild der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zeichnet, sollte sich an der Rechtslage nichts ändern. In einer Studie (PDF) im Auftrag des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums gaben 44 Prozent der befragten Auftraggeber an, dass sie Projekte aufgrund der Rechtsunsicherheit beim Thema Scheinselbständigkeit ins Ausland verlagert haben. Unter den Freelancern beobachteten sogar 50 Prozent diese Entwicklung. 30 Prozent gaben an, dass ihr Einkommen durch die Gesetzeslage in den letzten Jahren gesunken ist.
VGSD warnt: Deutschland verspielt technologischen Vorsprung
Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD, zeigt sich aufgrund dieser Entwicklung alarmiert: „Selbständige verlieren aufgrund der aus der Zeit gefallenen Abgrenzungskriterien zur Scheinselbstständigkeit massenhaft gut bezahlte Aufträge, obwohl die Auftraggeber dringend ihre Expertise benötigen, um die Herausforderungen der Digitalisierung meistern zu können. Sie werden gegen ihren Willen in Leiharbeit gedrängt, obwohl diese mit dem Gesetz (Anm. d. Red.: Gesetzesänderung vom April 2017) ja eigentlich bekämpft werden sollte. In ihrer Not verlagern große Unternehmen innovative Projekte ins Ausland, statt neue Technologien und Kompetenzen in Deutschland aufzubauen. Unsere besten Talente gehen als Folge davon ins Ausland, Deutschland verspielt immer mehr seinen früher bestehenden technologischen Vorsprung, verliert bei Schlüsseltechnologien sogar den Anschluss.“
Vodafone verbietet den Einsatz von Freelancern
Einige Unternehmen verbieten nun sogar den Einsatz von Freelancern, weil sie Angst haben, dass sie Scheinselbständige beschäftigen und horrende Summen an Sozialabgaben nachzahlen müssen (wie in einem aktuellen Fall der Versicherer Provinzial). So auch der Mobilfunkanbieter Vodafone, der es in einer E-Mail seinen Geschäftspartnern untersagt, Freelancer einzusetzen. Für den Fall der Zuwiderhandlung droht Vodafone mit Regressforderungen.
Undurchsichtiges Statusfeststellungsverfahren: FDP fordert Rechtsänderungen
Nachdem die Bundesregierung bisher die Augen vor der Problematik verschlossen hat, schlägt die FDP laut einem Bericht der FAZ nun mehrere Rechtsänderungen vor. Im Mittelpunkt steht dabei eine Reform des sogenannten Statusfeststellungsverfahrens (das Verfahren, in dem die Rentenversicherung feststellt, ob jemand selbständig oder angestellt ist). Skeptisch sieht die FDP beispielsweise, dass die Sozialversicherung prüft, ob jemand scheinselbständig ist oder nicht. Denn diese hat natürlich Interesse daran, dass so viele Beiträge wie möglich einbezahlt werden. Stattdessen sei eine Prüfung durch eine neutrale Stelle erforderlich, zum Beispiel durch die Finanzämter. Zudem fordert sie wie der VGSD und andere Selbständigen-Verbände klare Positivkriterien zur Feststellung von Selbständigkeit. Das heißt, es sollte einige wenige Fragen geben, die Selbständige mit Ja beantworten müssen, um rechtssicher beauftragt werden zu können. Bisher handelt es sich um einen undurchsichtigen Fragenkatalog mit bis zu 50 Fragen, die sich je nach Branche, Auftragnehmer und Auftraggeber erheblich unterscheiden.
Datenbank zum Fragenkatalog der DRV (Deutsche Rentenversicherung):
Der VGSD plant eine Datenbank mit den Fragen, die die DRV im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens stellt, um Betroffenen besser helfen zu können. Wenn Sie bereits ein solches Verfahren durchlaufen haben, können Sie den VGSD unterstützen, indem Sie ihm die Ihnen übersandten Fragen zukommen lassen. Mehr Infos dazu finden Sie hier auf der Website des VGSD.
Was der VGSD zum Statusfeststellungsverfahren fordert und wie er sich zum Thema Scheinselbständigkeit positioniert, können Sie hier nachlesen: VGSD-Positionspapier zum Thema Scheinselbstständigkeit.
Video: Interview mit Dr. Andreas Lutz zum Thema Scheinselbständigkeit
Was die Rechtsunsicherheit für Selbständige bedeutet und warum die Gesetzesänderung von April 2017 zum Statusfeststellungsverfahren alles nur noch schlimmer gemacht hat, erfahren Sie auch in unseren Interviews mit Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD:
Bleibt weiter abzuwarten, ob die Bundesregierung nun beim Thema Scheinselbständigkeit endlich die Reißleine zieht. Wenn sich etwas tut, erfahren Sie es natürlich bei uns.
Die beste Absicherung für Selbständige
Das Risiko Scheinselbständigkeit wird also erst einmal weiterbestehen und Selbständige müssen darauf hoffen, dass Gesetze geändert werden. Damit Sie als Selbständiger Ihr Business zumindest an den Stellen optimal absichern können, wo es möglich ist, gibt es die Berufshaftpflichtversicherungen über exali.de. Diese stehen immer an Ihrer Seite, wenn Sie für berufliche Fehler haften müssen. Wenn Sie beispielsweise abgemahnt werden, prüft der Versicherer auf eigene Kosten, ob die Abmahnung berechtigt ist und übernimmt eine berechtigte Schadenersatzzahlung.
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