Neue Regelungen zur Scheinselbstständigkeit in 2017: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht!
Momentan ist der Gesetzesentwurf mit all seinen Veränderungen in puncto Scheinselbstständigkeit das wohl heißeste und diskussionswürdigste Thema in der Freelancer-Szene. Deshalb darf es natürlich auch auf unserer exali.de Info-Base nicht fehlen...
Scheinselbstständigkeit – eine Definition!
Der Vorwurf „Scheinselbstständigkeit“ ist vor allem für Freelancer und ihre Auftraggeber kein Fremdwort – schnell gehören sie in den Kreis der als Lügner Gebrandmarkten, obwohl vielleicht alles mit rechten Dingen zugeht. Und dann kann‘s je nach Umfang des Auftrages so richtig teuer werden (z.B. Rechtsstreit mit der gesetzlichen Krankenversicherung)! Freelancern und Auftraggebern ist dieses Risiko meist aber gar nicht bewusst; beide Seiten gehen davon aus, sich zu jeder Zeit korrekt zu verhalten. Doch wann wird hier die Grenze überschritten, wann ist eine Selbstständigkeit dann doch eher ein Angestelltenverhältnis?
Von einer Scheinselbstständigkeit wird gesprochen, wenn ein Erwerbstätiger vorgibt, selbstständig zu sein, obwohl er in der Realität von der Art seiner ausgeübten Tätigkeit her eher als ganz normaler Arbeitnehmer in einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis einzustufen ist.
Selbstständig oder Angestellter? Die Hexenjagd soll ein Ende haben!
Die Abgrenzung fällt ob dieser dann doch recht vagen Formulierung dementsprechend schwer, zumal es bisher nur eine Handvoll Kriterien gab, die maßgeblich zur Orientierung beitrugen. Deshalb passiert es leider auch oft, dass ganz normale Selbstständige und Auftraggeber den Stempel „Kriminelle“ auf die Stirn bekommen und unter dem eigentlichen Schutz leiden müssen.
Diese Hexenjagd soll jetzt aber ein Ende haben: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) legt einen Gesetzesentwurf vor, der Missbrauch verhindern und Selbstständigen und Auftraggebern mehr Rechtssicherheit versprechen soll; ein eigens formulierter Paragraph mit ausgefeiltem Kriterienkatalog zur Abfrage, ob jemand tatsächlich selbstständig ist oder eigentlich ein Arbeitnehmer und damit scheinselbstständig, scheint die Lösung. Seinen Platz soll der neue §611a BGB direkt nach §611 BGB „Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag“ finden und nach den Vorabstimmungen zum 01.01.2017 in Kraft treten.
§611a BGB – worum geht es?
Zentrale Merkmale von Scheinselbstständigkeit sind nach dem geplanten §611a BGB Abs. 1 auch künftig die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die Weisungsgebundenheit, allerdings konkretisiert das Arbeitsministerium im zusätzlichen §611a BGB Abs. 2 mit acht Abgrenzungskriterien, was damit eigentlich gemeint ist:
„(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand
a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,
b. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
g. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
h. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.“
Ob es sich tatsächlich um eine echte oder eine Scheinselbstständigkeit handelt, entscheidet – wie bisher auch – die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Der Unterschied ist aber, dass nach §611a Abs. 3 BGB „[d]as Bestehen eines Arbeitsvertrages (...) widerleglich vermutet wird, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund (...) das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat.
Mehr Rechtssicherheit oder böse Falle für Freelancer?
Für unseren Kooperationspartner, den VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.), ist jedoch genau diese Praktik der falsche Ansatzpunkt, erwies sich eine ähnliche Regelung bereits vor Jahren als unpraktikabel.
Auch insgesamt lässt der VGSD kaum ein gutes Haar an dem Gesetz; sie bezeichnen es sogar als die Erfüllung ihrer „schlimmsten Erwartungen“: „Es schreibt die zweifelhafte Praxis fest, die die DRV seit 2009 entwickelt hat und die im Widerspruch zur Entwicklung unserer Arbeitswelt steht“. Auch die versprochene Rechtssicherheit sei nicht gewährleistet, da die neuen Kriterien per se weiterhin unbestimmt sind und die Grenze zwischen Arbeitsvertrag und Selbstständigkeit nur noch weiter in den Bereich der Selbstständigkeit rücken lassen; das Arbeiten auf selbstständiger Basis wird so eigentlich noch mehr eingeschränkt als zuvor. War bislang beispielsweise nur die Zusammenarbeit mit Arbeitnehmern ein Indiz für Scheinselbstständigkeit, könnte künftig möglicherweise auch die Zusammenarbeit mit anderen freien Mitarbeitern im Rahmen eines Projektes als solche ausgelegt werden (vgl. §611a Abs. 2 d.); Selbstständige (z.B. IT-Experten, Interimmanager uvm.), die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit gemeinsam mit anderen in Projekten verbringen, müssen also tatsächlich wieder um ihre Selbstständigkeit bangen – kann das das Ziel der neuen Regelungen sein? Es ist und bleibt spannend. Wir halten ein Auge drauf!
Das Thema Scheinselbstständigkeit zur Bundestagswahl 2017: Was erwartet uns mit der neuen Regierung
© Nicole Seibert – exali GmbH